Briefe an Freunde, Aktuelles aus Novosibirsk (Norbert Schott)

Frankreich 2015

19. Juli 2014

In leicht veränderter Form erschienen im Eulenspiegel

Stellt Euch mal vor:

Sommer 2015, Frankreichs Wirtschaft liegt aufgrund der starken deutschen Exportindustrie am Boden. Die Preise steigen, die breite Masse wird immer ärmer. Frankreichs Präsident spekuliert auf amerikanische Hilfen. Plötzlich kommt Deutschland, und bietet einen sehr günstigen Kredit, fordert aber eine vorrangige Verwendung für deutsche Waren. Frankreichs Präsident schwenkt spontan um, greift zu.

In Paris formiert sich Protest gegen den deutschen Einfluss. Und gegen den Präsidenten als Person. Die Polizei reagiert hart, was die Proteste nur anfeuert. Innerhalb von zwei Monaten wächst die Bewegung auf eine halbe Million protestierende Franzosen auf dem Champs-Élysées an. Der Präsident zeigt Unverständnis und polarisiert gegen die vom enttäuschten Amerika finanzierten Protestierer. Gérard Depardieu wird zum Gesicht der Proteste.

Die Lage eskaliert. Die Protestierenden, seit Tagen bewaffnet und verbarrikadiert, kündigen einen Marsch auf den Élysée-Palast an. Auf den Dächern erscheinen zunächst unbewaffnete Eliteeinheiten. Plötzlich wird geschossen - aus verschiedenen Richtungen und nicht nachvollziehbar durch wen. Rund 100 Tote. Die Außenminister der USA, Englands und Spaniens vermitteln unter Anwesenheit eines deutschen Regierungsvertreters Neuwahlen innerhalb von sechs Monaten, bei der Unterschrift lächelt Gérard Depardieu zufrieden.

Die Protestierenden bezeichnen Gérard Depardieu als Verräter. Der Präsident flieht unter dem Druck der Masse Hals über Kopf nach Deutschland. Die Protestierenden öffnen seine privaten Liegenschaften, veröffentlichen dort gefundene Briefe an dutzende Geliebte und bezeichnen das Haus künftig als "Museum des amourösen Amtsmissbrauchs".

Währenddessen formiert sich in den Gebieten an der deutschen Grenze ein Gegenprotest. Die unter zweifelhaften Umständen vom Champs-Élysées neue eingesetzte Regierung plant erste Gesetze - aus Sorge vor den Gegenprotesten ist beispielsweise vorgesehen, Elsässisch als Dialekt künftig zu verbieten. Alle Präfekten im Osten des Landes werden ausgetauscht, durch Schauspieler aus Paris. Ihre Popularität soll helfen, die Gegenproteste in Grenzen zu halten - aber das Gegenteil passiert.

Vollkommen unerwartet tauchen im Elsass schwerbewaffnete Männer in Tarnkleidung auf, welche nur gebrochenes Französisch mit deutschem Akzent sprechen. Diese umstellen das Gebäude des Regionalrats, riegeln die Grenze zu den Nachbarregionen ab und blockieren alle Armeestützpunkte. Der Regionalrat beschließt kurzfristig eine Volksabstimmung über Autonomie. Die Volksabstimmung wird mehrfach vorgezogen.

Bei der finalen Abstimmung - zur Wahl stehen nur noch eine Autonomie oder ein Anschluss des Elsass an Deutschland - stimmt bei einer enormen Wahlbeteiligung eine große Mehrheit für den sofortigen Anschluss an Deutschland. Deutschland gibt sich vollkommen überrascht, nimmt aber den Elsass nach 3 Tagen als 17. Bundesland auf und verspricht blühende Landschaften.

Während sich die Lage auf dem Champs-Élysées und im Elsass langsam beruhigt, werden die Konflikte in anderen östlichen Regionen Frankreichs immer heftiger. Auch Lothringen möchte nun zu Deutschland, selbst in der Region Champagne-Ardenne flammen die Proteste auf. Regionalräte werden besetzt, nun von schwarz maskierten Männern.

Paris reagiert mit Propaganda. Alle prodeutschen, antiamerikanischen Tendenzen wären ausschließlich von Deutschland finanziert - ganz Lothringen wäre auf der Seite von Paris und wünsche sich die neue Politik von Gérard Depardieu. Deutschland veröffentlicht ein mitgeschnittenes Telefonat, wonach Gérard Depardieu alle Deutschen vernichten möchte, die deutsche Kanzlerin bitte persönlich.

In Metz jagen pro-französische Aktivisten pro-deutsche Demonstranten durch die Stadt, diese fliehen in ein Gewerkschaftshaus. Die Aktivisten aus Paris zünden dieses an, 40 Menschen sterben. Die Polizei nimmt die überlebenden pro-deutschen Demonstranten fest und beschuldigen Sie des Todes ihrer 40 Kameraden.

Ein Untersuchungsausschuss zu den Schüssen auf dem Champs-Élysées kommt zum Schluss, dass diese eindeutig von den Eliteeinheiten des früheren Präsidenten kamen. Gegenteilige Stimmen werden ignoriert, Bäume mit Einschüssen aus der anderen Richtung sicherheitshalber gefällt. Deutschland veröffentlicht ein weiteres kompromittierendes Telefonat des belgischen Außenministers, welcher von möglichen Beweisen spricht, dass die Protestierenden selbst geschossen hätten. Die Presse in Frankreich und Amerika ignoriert dies, die Presse in Deutschland übernimmt dies als einzig mögliche Variante.

In Lothringen findet eine chaotisch organisierte Volksabstimmung für eine Autonomie statt. Hier spricht sich angeblich eine Mehrheit für eine Volksrepublik Lothringen aus. Deutschlands Kanzlerin äußert Respekt für diese Entscheidung, Amerika bezeichnet sie als illegal und völkerrechtswidrig.

Eine Woche später wählt Frankreich einen neuen Präsidenten. Mit absoluter Mehrheit wird der Eigentümer einer Schokoladenfabrik, welche auch den deutschen Markt bedient. Doch statt einer Befriedung eskaliert die Lage weiter.

In Lothringen wird ein Flughafen besetzt - die Armee bombardiert diesen. Unter den 50 Toten sind auch 30 Deutsche, was in Deutschland aber verschwiegen wird. Aber auch Paris verschweigt, dass es in den folgenden Tagen über 200 tote Zivilisten in Lothringen gibt. Frankreich wirft Deutschland eine unzureichende Sicherung der Grenze vor und veröffentlicht unscharfe Fotos von deutschen Panzern als Beweis einer Einmischung. Die deutsche Kanzlerin streitet dies ab. Im Internet tauchen Videos von französischen Kampffliegern auf, die auf Wohngebiete in Metz schießen.

Ein kurzfristiges Friedensabkommen, an dem nur Berlin, Washington und Paris, aber keine Vertreter aus Lothringen teilnehmen, wird von Paris kurz vor Abschluss abgelehnt. Als Konsequenz verurteilt Washington Berlin für das Anheizen des Konflikts.

Die Kämpfe werden immer stärker. Die Bevölkerung flieht in alle Richtungen. In der deutschen Presse werden lange Schlangen an der Grenze gezeigt, die sich aber später als Fotos von der spanischen Grenze herausstellen. In der französischen und amerikanischen Presse fliehen Alle nach Paris.

In Wirklichkeit fürchten die Menschen einfach um ihr Leben und es ist ihnen wirklich scheißegal, wo sie Zuflucht finden können - Hauptsache ihre Kinder werden nicht traumatisiert.

Vorläufiger Höhepunkt ist der Abschuss eines zivilen norwegischen Flugzeugs auf dem Weg nach Portugal. Paris veröffentlicht nicht überprüfbare Tonbandaufnahmen von pro-deutschen Separatisten, welche die Maschine für ein Transportflugzeug hielten. Lothringer Separatisten verweisen auf französische Kampfjets. Berlin beschuldigt Paris - mit Waffenstillstand wäre es nicht zu diesem Unglück gekommen.

Klingt vollkommen absurd? Kann in Europa doch nicht passieren? Hätte ich vor einem halben Jahr auch gesagt!