Briefe an Freunde, Moskau (Norbert Schott)

Fahrstühle, Küchen, Ausweise ...

19. Februar 2002

Ich war gerade beim Arzt. Denn wenn man an der Uni schwimmen gehen möchte, braucht man ein Attest. Das stellt einem der Doktor für 120 Rubel (4 Euro) aus. Man rennt da hin, bekommt einen Schein, rennt damit zum Buchhalter, zahlt das Geld, geht zurück zum Arzt. Dann beginnt die Untersuchung. Zuerst wird der Rücken zehn Sekunden betrachtet. An den Händen wird irgendwas kontrolliert, vielleicht ob man dreckige Fingernägel hat? Die Haare werden auf Läuse geprüft und zu guter letzt wirft der Arzt noch einen Blick auf die Füße. Lustig, wirklich. Das Ausfüllen des Formulars am Ende dauert länger, als der Rest. 

Jetzt haben wir mal wieder eine Bescheinigung mehr. Das ist inzwischen die achte. Als erstes bekamen wir eine Eintrittskarte für das Wohnheim (ohne Foto, zwei Stempel) – diese wird immer verlangt, selbst wenn einen die Soldaten schon tausendmal gesehen haben. Hat man sie nicht dabei, ist es aber auch kein Problem. Dann erhielten wir eine Monatskarte für die Busse (kein Foto, kein Stempel, aber ein sinnloser Magnetstreifen). Als drittes bekamen wir eine Bestätigung, dass unser Pass im Auslandsamt bearbeitet wird (zwei Stempel, ein Foto). Nummer vier war die vorrübergehende Eintrittskarte für den Campus (ein Stempel, ein Foto) – auch dort wird kontrolliert. Dann bekamen wir unseren pass wieder – mit einer riesigen bestätigung (zwei tolle Stempel). Der nächste Schein war der endgültige StudentenAusweis (ein Foto, drei Stempel) – er ersetzt immerhin Nummer vier. Die siebente Geschichte ist wiederum der langfristige Ausweis für das Wohnheim (ein Foto, drei Stempel) – quasi der Nachfolger für Nummer eins. Uns erwartet noch eine Monatskarte für die Metro, ein Biboausweis und ein Sportausweis. Und für Vieles wird es wieder eine vorläufige Variante geben, denn leider fehlt noch ein ganz besonders wichtiger Stempel. Wir haben inzwischen neun Passbilder abgegeben ... 

Im Wohnheim hat man sich auch wieder was Tolles einfallen lassen. Unsere geliebte dreckige Küche im Elften wird jetzt auf einmal saniert, ebenso die im dreizehnten. Dummerweise sind die Küchen auf den anderen Etagen aber noch gar nicht fertig. Nur noch im siebten standen vorgestern vier herde, davon funktionierte immerhin einer. Den hat aber im letzten halben jahr keiner mehr ausgeschaltet, dementsprechend sind die kochplatten schon so gewölbt, dass man ewig warten muss, bis sich was tut. Folglich besorgen sich alle studenten eigene kochplatten – das wiederum verträgt das stromnetz nicht … ! Könnte man ja meinen, die bauarbeiter versuchen wenigstens, die fast fertigen Küchen schneller zu übergeben. Aber was jetzt drei tage irgendwie ging, wird wohl auch fünf Wochen funktionieren. 

Auch bei den Fahrstühlen bleibt die Situation gespannt. Wir haben inzwischen auch den Monteur gesichtet – er ist im Moment scheinbar rund um die Uhr im Einsatz. Denn die Lage ändert sich nahezu stündlich. Wir hatten schon den Fall, dass nur noch ein einziger Lift funktionierte ... das bedeutet dann ewig anstellen oder 240 Stufen laufen. Bleibt einem das erspart, muss man sich momentan wieder auf Dunkelfahrten einstellen - Studenten haben die Leuchtstoffröhren geklaut, sie passen wohl in den Schreibtischlampen. 

Heute abend verschwinden wir nach St. Petersburg. Wir werden dort bis Sonntag bleiben – vielleicht ist es dort auch ein wenig wärmer. Denn hier ist es mit zehn (tags) bis null Grad (nachts) doch recht kühl geworden. Außerdem regnet oder nieselt es fast ununterbrochen. Und wenn dann wieder einmal der Wind ungünstig steht, kommt noch der Smog dazu ... alles etwas widrig. 

Aber dennoch: es geht uns gut und mit der nötigen Portion Humor kann man die zeit hier einfach nur geniessen! Jedenfalls will ich keineswegs zurück ...