Briefe an Freunde, Novosibirsk (Norbert Schott)

Herbst in Sibirien

05. Oktober 2004

Ich bin wieder in Sibirien. Das Wetter spielt verrückt. Es widerlegt all meine Theorien: den ganzen Sommer hatte ich in Europa erzählt, wie klasse es ist, dass es in Sibirien dank Kontinentalklima im Sommer ordentlich warm ist. Und dann bekomme ich Mitte September mütterlichen Besuch ... bei minus vier Grad und Schneefall. 

Inzwischen hat sich alles wieder beruhigt, wir haben ordentliche 20 Grad und Sonnenschein - leider habe ich keinen Besuch mehr. 

Diese Wetterumschwünge bringen natürlich wieder den Heizplan durcheinander. Heizen im September - das war nicht vorgesehen. Somit saß ganz Novosibirsk drei Tage in der Kälte, dann endlich hatte Genosse X in Amt Y Plan Z geändert. Leider zu spät, denn nun haben wir 20 Grad. Da nach geändertem Plan nun aber auch im September geheizt werden muss, schwitzen jetzt alle. 

Ich beobachte in letzter Zeit Bemühungen zum Energiesparen: Da wir in unserer Wohnung den Strom nach Verbrauch und nicht pauschal bezahlen, achten meine Mitbewohnerinnen neuerdings genau auf jede nutzlos eingeschaltete Lampe. Bei Kälte werden auch die Elektroheizer nicht mehr genutzt. Stattdessen werden alle Flammen des Gasherds angemacht - denn Gas ist noch immer kostenlos. ;-(

Mein schönstes Erlebnis diese Woche war gestern ein Kiosk auf dem Markt. Ein großes Pappschild weißt darauf hin: "Pause". Darunter hängt: "Fragen sie nicht!" Und weil man das noch falsch verstehen könnte, erläutert eine dritte Pappe: "Lenken sie uns nicht ab, gehen sie weiter!" Ich würde dies jedoch als freundliche Hinweise deuten. Denn drei Kioske weiter, wo ich nach zweitägiger Suche endlich meine Wikinson-Rasierklingen gefunden hatte, hing kein Schild. Umso freundlicher die Reaktion auf meine Nachfrage: "Sie sehen doch, dass ich Waren sortiere!" (Es gab dann noch einen Kiosk mit Wikinson, was hier Schick heißt. Ich muss also nicht auf Gillette umsteigen. Aber das ist nun wirklich nebensächlich.)