Briefe an Freunde, Novosibirsk (Norbert Schott)

Mail für alle ohne Kinder: Politik, Korruption und Wodka

17. Oktober 2010

Bei unserem letzten Deutschlandbesuch hörte ich drei Fragen besonders häufig. Erstens: "Ist das mit dem Alkohol denn wirklich so schlimm?"

Glaubt man der Statistik, dann ja. Die Lebenserwartung für Männer wird oft mit unter 60 Jahren angegeben, für Frauen mit über 70. Einen so deutlichen Unterschied kann man nur bedingt mit den Kriegen in Tschetschenien oder Afghanistan begründen - bleiben also der Wodka und seine Folgen.

Meinen subjektiven Beobachtungen in Novosibirsk oder Moskau zufolge, trinkt der gebildete Russe nicht mehr, aber deutlich intensiver. Statt des täglichen Glas Wein in Deutschland, gibt es halt die wöchentlichen 250 Gramm Wodka. Nun sieht man einem Menschen ein Glas Wein weniger an, als einen viertel Liter Wodka - was den Klischees natürlich reichlich förderlich ist! Und mit etwas Wein im Blut kann man problemlos im Fluss baden gehen oder ein Auto lenken, mit reichlich Wodka eher nicht - was sich in der Statistik widerspiegelt.

Dazu kommt, dass die Unterschicht in Deutschland eher Sterni-Pils im Netto kauft, während der prekär lebende Russe zum Selbstgebrannten greift. Was man auch immer von Sterni halten mag - blind wird man davon nicht!

Bleibt die Frage, wie man als deutscher Gast mit dem Wodka umgeht. Die einfachste Variante ist, mindestens drei Runden mitzutrinken. Danach sind alle ausreichend entspannt, um den Verzicht des Gastes hinzunehmen. Es wird zwar eingegossen, aber keiner bemerkt, wenn man nicht mehr mittrinkt. Beim Nachschänken heißt es zwar dann: "Da ist ja noch was drin!", aber das ist auch wieder schnell vergessen.

Will man des klare Wässerchen gänzlich verschmähen, braucht man gute Ausreden. "Als besoffener Ausländer versuchen einen die Polizisten häufiger auszunehmen!" klappt ganz gut.

Womit wir bei Frage zwei wären: "Ist das mit der Korruption denn wirklich so schlimm?"

Auch hier kann man der Statistik glauben – in der Liste von Transparency International steht Russland auf Platz 147 von 180 untersuchten Staaten. Und sicher ist, um in Russland etwas zu erreichen, muss man entweder schön geduldig sein oder schön schmieren – die Behörden, die Feuerwehr, die Polizei, die Auftraggeber, die Politik.

Im Dezember, nach dem schweren Brand in einem Club in Perm, kam die Feuerwehr auch unser Büro überprüfen. Zunächst hatten wir keinen Fluchtplan - Strafe. Bei der zweiten Kontrolle hatten wir einen Fluchtplan, aber nicht auf lichtbeständigem Papier - Strafe. Natürlich hätte man beide Strafen direkt "vor Ort" zahlen können. Genauso war es aber möglich, das Protokoll zu unterzeichnen und sich dann vor Gericht zu offiziellen 15 Euro Strafe verurteilen zu lassen.

Vor zwei Jahren ließ ich mich beim Überholen im Überholverbot erwischen. Die Polizisten waren schwer verwundert, dass ich trotz der eindringlichen Hinweise auf ein drohendes Fahrverbot ein Protokoll ausfüllen ließ und dann im Bereich für Kommentare des Fahrers auch noch: „Einverstanden!“ vermerkte. Das Gericht verurteilte mich später zu vier Monaten Führerscheinentzug ohne Geldstrafe - ein mildes Urteil, weil ich so einsichtig war.

Sowohl Privatpersonen als auch kleine Firmen können also - wenn der Wille vorhanden ist - locker ohne Schmiergeld leben. Meist ist das etwas aufwändiger als mit, aber als idealistischer Deutscher nimmt man das halt hin.

Frage drei ist besonders komplex: "Warum ist Putin so beliebt?"

Eine umfassende Antwort würde Bände füllen. Aber ein Argument lieferten mir letzte Woche die Wahlen für den - im übertragenen Sinne - Novosibirsker Landtag. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 30 Prozent. In unserem Stadtteil konnte man zwischen "Die Zeit wartet nicht" und "Recht auf Zukunft" wählen - so die Slogans von zwei Kandidaten. Die Opposition warb mit "Senkung der Mietnebenkosten" - ohne irgendwie anzudeuten, wie das gehen soll.

Wenn man solche Slogans hört, wird Putin natürlich zur Lichtgestalt. Er hat die letzten Jahre einen gewissen Reichtum gebracht, jagt Terroristen, hat Russland international wieder zu Anerkennung verholfen. Man muss den Mann nicht lieben - aber unter all den schlechten Wahlmöglichkeiten, ist er leider immer noch die beste!

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