Briefe an Freunde, Tutujas (Norbert Schott)

Warum will man dennoch in der Taiga leben?

03. Juli 2012

nach dem ersten Eindruck der Mücken und Bremsen möchte ich nun auch erläutern, warum wir dennoch freiwillig hier sind.

Im Moment sitze ich auf dem Holzfußboden in einem unserer zwei Räume. Vor dem Haus zirpen die Graßhüpfer. Irgendwo heult ein Hund. Manchmal singen liebeslustige. Tagsüber hört man den Kuckuck. Nur am Wochenende sucht uns die Zivilisation heim - die Städter singen wahlweise Karaoke oder mähen mit unglaublicher Geduld riesige Rasenflächen mit Hilfe von viel zu kleinen Rasentrimmern. Beides kann sich über Stunden hinziehen.

Im Gegensatz zur Stadt - dies durften wir bei einem kleinen Ausflug diese Woche erleben - können wir die Hitze hier im Dorf kompensieren. Unser an sich kleiner Fluss ist stellenweise so tief, dass ich nicht stehen kann. Zu Fuß sind es etwa 10 Minuten zum steinigen Ufer und 20 Minuten zum Sandstrand. Dort kann man dann Arthur auch gleich noch eine Murmelbahn im Sand bauen. (Interessanterweise gibt es im Russischen kein Wort für Murmelbahn - vielleicht hat Deutschland auch die bekannteren Ingenieure.)

Für Arthur ist es grundsätzlich ideal hier. Jederzeit kann er raus vor die Tür oder auch wieder rein ins Haus. Er braucht dafür keine Mama, die ihn anzieht, und keinen Papa, der im Fahrstuhl den Knopf drückt. Niemand muss aufpassen, dass auf dem Parkplatz keine Autos rumfahren. Es gibt zwar Autos, aber zwischen Grundstück und Straße ist ein Zaun, der zunächst einmal Kühe aussperren soll und somit aber praktischer Weise auch Kinder einsperrt.

Zum Waschen gibt es den Fluss und die Wassertonne. Zweimal die Woche heizen wir die Banja an und waschen uns in dieser russischen Variante der Sauna. Danach freut man sich sogar über das kalte Wasser aus der Pumpe.

Im Garten sind im Moment die Erdbeeren sowie die "blauen Heckenkirschen" (in deutschen Baumärkten auch vollkommen falsch "sibirische Blaubeere" bezeichnet) reif. Hunger? Raus in den Garten, pflücken, essen. Rund um die Uhr, wann immer man will. Die Nachbarn verkaufen frisch gemolkene Milch sowie frisch geschleuderten Honig. Zwei Häuser weiter gibt es Eier von offensichtlich wirklich glücklichen Hühnern.

Demnächst kommen dann die eigenen Tomaten, der Salat, die Kohlrabi (extra für mich), die Auberginen, die Kartoffeln - alles ist da, alles wächst wie verrückt. Und wir mittendrin.